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Marke

Bitte bleib! Markenführung im Zeitalter des Verlusts

14. November 2024

Das Phänomen der Verlustaversion ist schon länger auch in der Werbepsychologie bekannt. Es besagt, dass bei Menschen Verluste stärker gewichtet werden, als Gewinne gleicher Größe. Dadurch wollen sie Verluste vermeiden, selbst wenn dies zu rational weniger vorteilhaften Entscheidungen führt. Das Verhältnis von Menschen und Verlusten hat aber noch eine größere Dimension.

Die moderne Gesellschaft, getrieben vom Fortschrittsgedanken, hat ein Paradoxon geschaffen: Sie verspricht, Verluste zu minimieren, doch gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen Verlusterfahrungen machen. Dieses „Verlustparadox der Moderne“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz es in seinem aktuellen Buch beschreibt, hat tiefgreifende Auswirkungen. Es beeinflusst die politische und soziale Landschaft und das Klima in der Gesellschaft. „Make America Great Again“ ist ein pointiertes Beispiel dafür. Donald Trump hat es erneut geschafft, durch das Versprechen, aktuelle Verluste zugunsten einer vermeintlichen Rückkehr in die „gute alte Zeit“ zu kompensieren, viele Wähler:innen anzusprechen. Damit bietet er in Zeiten großer Verunsicherung offenbar eine attraktive Option für viele.

Als Marketer sollte man sich in diesem Kontext die Frage stellen, welche Konsequenzen daraus für Marken in der Verbindung zu ihren Zielgruppen entstehen.

Das Fortschrittsnarrativ erodiert
Der Glaube an eine stetig bessere Zukunft, der jahrzehntelang die Grundlage westlicher Gesellschaften bildete, schwindet zunehmend. Die Fortschrittserzählung stößt auf Skepsis, da viele Menschen Verluste in verschiedenen Lebensbereichen erleben, wie zum Beispiel:

  • Statusverluste: Das Versprechen, dass es der nächsten Generation besser gehen wird als der Vorherigen, wird sich aus Sicht Vieler nicht einlösen.
  • Zukunftsverluste: Globale Krisen vom Klimawandel über Kriege hin zur Sorge vor Migration schaffen Unsicherheiten hinsichtlich der Zukunft.
  • Identitätsverluste: Traditionelle Werte und Gemeinschaften lösen sich auf, was das Gefühl der Zugehörigkeit und der kulturellen Stabilität schwächt.

Entscheidet ist dabei aber nicht das reale Verschwinden von Dingen, sondern das subjektive Empfinden eines (vermeintlichen) Verlustes. Dieses Gefühl prägt uns alle stärker, als es uns vielleicht bisher bewusst war. Es prägt unsere Erwartungen und Einstellungen: Unser Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität, Authentizität und Identität sowie nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit sollte deshalb auch in der Markenführung stärker zum Einsatz kommen.

Für die Markenführung ergeben sich daraus die folgenden Handlungsfelder:

  1. Mehr als Phrasen: Ehrlichkeit und Authentizität
    In Zeiten, in denen die Menschen mit Verlusten oder Verlustängsten konfrontiert sind, sollten Marken keine platten oder leeren Fortschrittsversprechen abgeben. Stattdessen sollten sie ehrlich und transparent mit den gesellschaftlichen Herausforderungen umgehen. Marken die versuchen Verluste zu leugnen oder Fortschritt zu idealisieren, riskieren, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Authentizität muss im Mittelpunkt jeder Markenstrategie stehen, um das Vertrauen der Konsument:inen zu gewinnen und zu bewahren.
  2. Echtes Verständnis: Emotionale Resonanz schaffen
    Verlusterfahrungen gehen oft mit starken Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut einher. Diese Gefühle zu ignorieren, wäre ein strategischer Fehler. Sie spielen im Marketing aber selten eine wirkliche Rolle. Allerdings sollten Marken diese Emotionen anerkennen und durch ihre Kommunikation Verständnis und Empathie signalisieren. Die Fähigkeit einer Marke, Emotionen widerzuspiegeln und sich als unterstützender Partner in schwierigen Zeiten zu positionieren, kann einen tiefen Einfluss auf die Kundenbindung haben.
  3. Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit: Der Katalysator für Identität
    Marken sollten den Fokus darauf legen, Gemeinschaft und Identität zu stärken, indem sie ihren Konsument:inen nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch Selbstwirksamkeit vermitteln. In einer Welt, die von Unsicherheit und Verlust geprägt ist, suchen Menschen nach Möglichkeiten, aktiv etwas bewirken zu können. Marken können Plattformen schaffen, die es den Konsumenten ermöglichen, sich nicht nur als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, sondern auch aktiv an der Gestaltung und Bewältigung von Herausforderungen mitzuwirken. Dieses Gefühl, selbst etwas beitragen zu können, stärkt zudem die emotionale Bindung zur Marke.
  4. Stabil bleiben: Beständigkeit und Verlässlichkeit
    In einer Welt, die von ständiger Veränderung und Unsicherheit geprägt ist, sehnen sich viele Menschen nach Stabilität und Verlässlichkeit. Marken können diesem Bedürfnis nach Beständigkeit gerecht werden, indem sie berechenbar und konsistent auftreten. Konsument:inen wollen sich auf eine Marke verlassen können – nicht nur in Bezug auf Produktqualität, sondern auch auf Werte und Kommunikation. Ein zu häufiger Wechsel bei Markenbotschaften, Designs oder in den Kernwerten kann Verunsicherungen hervorrufen, wenn die Marke nicht wiedererkannt wird.

Marken als Orientierungshilfe in der komplexen Realität
Markenführung in der „spätmodernen Gesellschaft“ bedeutet, sich der komplexen Realität von Verlusterfahrungen zu stellen und gleichzeitig Hoffnung und Zuversicht zu bieten. Die Konsument:inen suchen in Marken Orientierungspunkte, die ihnen helfen, sich in einer Welt des Wandels und der Unsicherheit zurechtzufinden. Die Aufgabe der Markenführung besteht darin, diese Verluste anzuerkennen, aber auch Perspektiven zu bieten, wie diese überwunden werden können.

Fazit: Marken als Partner in Zeiten des Verlusts
Verantwortliche aus dem Marketing sollten sich von traditionellen Fortschrittsversprechen der Wirtschaftswunderjahre endgültig verabschieden und stattdessen neue Wege der Kommunikation gehen. Ehrlichkeit, emotionale Resonanz, Resilienz und Gemeinschaft sind die Schlüssel, um den Menschen in einer Zeit der Unsicherheit Orientierung zu bieten. Marken, die es schaffen, Verlusterfahrungen ernst zu nehmen und gleichzeitig Lösungen und Hoffnung zu vermitteln, können langfristige und tiefgehende Beziehungen zu ihren Kund:innen aufbauen.

Holger Lauinger

Strategy Director