
Kommunikationsberatung
Raus aus der Blase: Wie Politik und Marken neue Zielgruppen erreichen
10. Februar 2025

Der öffentliche Diskurs scheint immer häufiger zu scheitern, weil sich viele Menschen nicht mehr angesprochen fühlen. Die Gesellschaft wirkt mehr und mehr gespalten. Etwas stimmt nicht mehr. Das Ziel, wieder mehr Gemeinsamkeiten zu finden und Brücken zu bauen, steht gerade vor einer Bundestagswahl ganz oben auf der Prioritätenliste von Politik und gesellschaftlichen Akteuren.
Wie schafft man es, gerade die Menschen von seiner Sache zu überzeugen, die nicht bereits zur eigenen Blase oder Fanbase gehören? Wie kommt man an die Menschen heran, die anders denken und fühlen als man selbst? Lösen lassen sich die Fragen nur mit funktionierender Kommunikation, doch Sender und Empfänger scheinen aktuell nicht auf einer Wellenlänge zu liegen.
Eine Ursache dafür ist der Habitus der Handelnden, er spielt eine zentrale Rolle in der Wahrnehmung des Zielpublikums. Der Begriff, vom Soziologen Pierre Bourdieu geprägt, beschreibt die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die von sozialen Prägungen und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe geprägt sind. Der Habitus beeinflusst oft unbewusst, wie man kommuniziert. Das Problem: Ein eingefahrener Habitus sorgt dafür, dass vor allem jene erreicht werden, die ohnehin zum eigenen Milieu gehören. Was für einzelne Menschen gilt, gilt ebenso für Marken oder Parteien.
Über den politischen Kontext hinaus
Die Parteien wählen hier unterschiedliche Ansätze - mal eher inhaltlich, mal eher emotional. Der Habitus, mit dem sie diese Botschaften senden, richtet sich aber in den meisten Fällen sehr direkt an die jeweiligen Kernwähler:innen. Eine Ausnahme macht die SPD, die versucht, durch Anpassungen in Sprache und Design auch konservative Wähler zu erreichen. Die Plakate zur Bundestagswahl gehen in der Sprache, im Design und teilweise auch in der Themensetzung bewusst einen anderen Weg. Das Ziel ist klar: Wähler:innen aus dem „anderen Lager“ sollen gewonnen werden. Überschriften, die mit „Mit Sicherheit...“ beginnen oder die Deutschlandfahne im Hintergrund - das sind eigentlich eher Elemente aus konservativeren Kreisen. Progressive und Linke werden hier offensichtlich nicht angesprochen. Ob diese Strategie für die SPD am Ende aufgeht, wird die Wahl zeigen. Der Mut, die eigene kommunikative Komfortzone zu verlassen, verdient aber schon jetzt
Für Marken bedeutet das, nicht nur bestehende Kunden zu halten, sondern aktiv neue Segmente zu erschließen und ihre Kommunikationsstrategien flexibel zu gestalten. Marken müssen lernen, über ihre traditionellen Zielgruppen hinaus zu kommunizieren, indem sie universelle Botschaften adaptieren und zielgruppenspezifische Inhalte schaffen. Diese Strategie erfordert ein tiefes Verständnis der kulturellen Codes, Wertvorstellungen und Erwartungen, die in den verschiedenen Zielgruppen vorherrschen. Marken, die es schaffen, authentisch und empathisch über diese Grenzen hinweg zu kommunizieren, können nicht nur ihre Reichweite vergrößern, sondern auch langfristig loyale Kundenbeziehungen aufbauen.
Die Herausforderung: Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg
Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des Habitus kommt ebenfalls aus der SPD. Der beliebteste Politiker des Landes ist seit Jahren Boris Pistorius. Der Verteidigungsminister findet mit seiner klaren, bodenständigen Sprache und seinen schnörkellosen Auftritten in breiten Bevölkerungsschichten Anerkennung. Und das, obwohl seine politischen Themen kontrovers und alles andere als klassische „Gewinnerthemen“ sind. Ähnlich wie Pistorius, der durch Authentizität und Direktheit überzeugt, können auch Marken von einem klaren und unverstellten Kommunikationsstil profitieren. In der Markenkommunikation ist es entscheidend, dass die Botschaften nicht nur die Kernzielgruppe, sondern auch ein breiteres Publikum ansprechen. Dies erreicht man, indem man die eigene Markenidentität nicht künstlich aufpoliert, sondern ehrlich und direkt kommuniziert. Marken, die es schaffen, ihre Kernwerte mit Überzeugung und ohne Schnörkel zu vertreten, gewinnen oft an Glaubwürdigkeit und ziehen Kund:innen an, die Wert auf Echtheit und Authentizität legen.
Wie man es nicht machen sollte, zeigt die erst kürzlich stattgefundene Debatte im deutschen Bundestag um das Migrationsgesetz, das von der Union unter Friedrich Merz vorgeschlagen wurde. Merz drängte darauf, die Migrationspolitik zu verschärfen, um die Sicherheitsbedenken der Bevölkerung zu adressieren, was von der Regierung stark kritisiert wurde. Die Kontroverse verstärkte sich, als bekannt wurde, dass die Union bereit war, den Gesetzentwurf mit Unterstützung der AfD durchzusetzen, was zu heftigen Reaktionen und Protesten führte. Dieses Vorgehen lässt sich im Kontext der politischen Kommunikation und des Zielgruppenmanagements analysieren. Die Entscheidung von Merz, eine härtere Migrationspolitik zu verfolgen und dabei eine Unterstützung durch die AfD in Kauf zu nehmen, spiegelt das Dilemma wider, das auftritt, wenn man versucht, die eigene Basis zu stärken, während man gleichzeitig neue Wählergruppen ansprechen möchte. In der Markenkommunikation entspricht dies dem Versuch, eine Marke zu positionieren, die unterschiedliche Kundensegmente anspricht, und dabei plötzlich die Kernidentität der Marke kompromittiert.
Wie kann der eigene Habitus überwunden werden?
Wie kann also Wachstum stattfinden oder gesellschaftlicher Konsens gefördert werden, wenn die Art der Ansprache Barrieren schafft? Das Kernproblem ist, dass die Sprache, der Ton und die Inhalte die eigene Perspektive widerspiegeln und automatisch jene ausschließen, die einen anderen Habitus besitzen. Erfolgreiche Kommunikation in einer gespaltenen Gesellschaft bedeutet jedoch, reale Vielfalt anzuerkennen und Dialoge zu schaffen, die Unterschiede überwinden. Wer langfristig nicht nur wachsen, sondern auch Vertrauen und Zusammenhalt fördern will, muss den eigenen Habitus hinter sich lassen. Folgende Tipps helfen dabei:
- Perspektivwechsel: Der erste Schritt ist das Bewusstsein für die eigene Perspektive. Welche Werte, Normen und Überzeugungen spiegeln sich in der Kommunikation wider? Ebenso wichtig: Verstehen, wie die Zielgruppe denkt und fühlt. Habe ich die richtigen Einblicke und das Verständnis darüber, wie Menschen über meine Themen oder Produkte wirklich denken?
- Empathische Ansprache: Empathie bedeutet nicht, die eigenen Werte aufzugeben, sondern Brücken zu bauen. In der Markenkommunikation kann dies durch Storytelling erreicht werden, das unterschiedliche Lebensrealitäten einfängt. In der Politik können Gesichter und Geschichten von Menschen aus verschiedenen Milieus helfen, Botschaften zu verankern.
- Anpassungsfähigkeit: Eine universelle Botschaft ist schwer für alle umsetzbar, aber Flexibilität in der Ansprache kann helfen. Marken können Kampagnen segmentieren und Inhalte gezielt an verschiedene Zielgruppen anpassen.
- Medien und Plattformen: Jede Zielgruppe hat bevorzugte Medien und Plattformen. Während eine junge, digitalaffine Zielgruppe auf Instagram und TikTok erreicht wird, bevorzugt eine ältere Zielgruppe vielleicht Printmedien oder direkte Gespräche. Erfolgreiche Kommunikation erreicht Menschen dort, wo sie sich ohnehin aufhalten, selbst wenn der Weg dorthin auch mal ungemütlich werden kann.
- Ecken und Kanten: Wer ein offenes Ohr bei neuen Zielgruppen für sich erwartet, tut gut daran, nicht zu idiologisch und stromlinienförmig aufzutreten. Steht man selbst zu seinen Ecken und Kanten, überrascht man mit neuen Sichtweisen und schafft man es auch mal über den eigenen Schatten zu springen, wirkt man eher zugänglich und sympathisch.
Fazit: Neue Zielgruppen erreichen, ohne bestehende zu verlieren
Die Überwindung des eigenen Habitus erfordert Offenheit, Anpassungsfähigkeit und Mut. Sowohl in der Politik als auch in der Markenkommunikation gilt es, Brücken zu bauen und neue Zielgruppen anzusprechen, ohne die bestehende Anhängerschaft zu verlieren. Bei aller Anpassung bleibt Authentizität der Schlüssel. Menschen lassen sich nicht durch inszenierte Authentizität überzeugen. Marken und Politiker müssen ihre Werte glaubwürdig vertreten, ohne aufgesetzt zu wirken.